Kommunikation ist kompliziert. Es gibt Missverständnisse, Fehlinterpretationen und Argumentationsketten, die ins Nichts führen. Manchmal kommt es einem so vor, als würden wir alle durch einen Verschlüsselungsapparat sprechen, weil wir stets Angst haben müssen, dass das Gesagte beim Empfänger nicht störfrei ankommt - dabei wäre es doch gar nicht so abwegig, konkret miteinander zu sprechen oder? Warum fällt es uns so schwer, wirklich zu sagen was wir meinen und wie können wir diesen Vorhang zwischen uns aufziehen?
Als ich fünf Jahre alt war, war es bei uns im Kindergarten üblich, dass wir Kinder unser Geschirr und unser Besteck selbst abwaschen und abtrocknen müssen. Natürlich hatte ich darauf überhaupt keine Lust und so erzählte ich einfach allen Kindern, ich hätte nur diesen einen Pullover und der würde bei Kontakt mit Wasser sofort kaputt gehen - deshalb könne ich weder abwaschen noch abtrocknen. Ich war ein kreatives Kind. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann habe ich als Kind und auch später immer dann gelogen, wenn ich es einfacher haben wollte oder angenehmer - es ist ein Verhalten, dass wir uns antrainieren, weil wir stets danach streben, den einfachen Weg zu gehen. Wir wollen anderen nicht vor dem Kopf stoßen oder sie kränken, also sagen wir die Unwahrheit um sie zu schonen - doch eigentlich wollen wir uns nur selbst die unangenehme Situation ersparen, die in unserer Vorstellung einen Rattenschwanz an Problemen mit sich zieht. Doch dass es mit Unehrlichkeit einfacher ist, ist schlichtweg und ergreifend falsch.
>> Tat ich das, was ich wirklich wollte? <<
Meine Reflexion mit dem Thema Ehrlichkeit begann, als ich eines Tages bemerkte, wie fremdgesteuert ich mich fühlte. Alles lief so auf Schienen und hatte ein Regelwerk und ich hatte durch meine Bequemlichkeit aufgehört, zu hinterfragen, warum ich die Dinge so tat, wie ich sie tat. Es funktionierte doch - warum also Staub aufwirbeln? Und ja, für die anderen klappte das hervorragend, ich tat meinen Job und war nicht auffällig, lief in Reih und Glied - doch das über viele Jahre zu machen ist wie das Laufen eines unrunden Rades, das eines Tages brechen wird, wenn es nicht seiner Bestimmung nachkommt. Ich überlegte also, warum ich Dinge tat, was meine Motive dahinter waren. Tat ich es, weil ich es wirklich wollte? Oder eher, weil man es erwartete, weil es einfach so war und die Gesellschaft es als richtig empfand? Ich stieß auf vieles, das an meinem eigentlichen ICH vorbeiging und mir deshalb die Freude an meinem Tun nahm - also nahm ich mir vor, endlich ehrlich zu mir selbst zu sein und nur noch das zu tun, das ich auch wollte. Ich ahnte nicht, was geschehen sollte.
Durch diese Ehrlichkeit zu mir selbst begann ich automatisch, ehrlich zu meinem Umfeld zu werden. Es war gar nicht geplant, aber die Notlüge starb aus, genauso wie Höflichkeit. Höflichkeit erschien mir plötzlich so unaufrichtig - es bedeutet, dass wir etwas anderes tun oder sagen, als das, was wir denken, weil wir einem anderen Menschen entsprechen möchten. Wer sagt denn, dass das der bessere Weg ist? Ich begann also Höflichkeit durch Freundlichkeit zu ersetzen und entdeckte, dass das Miteinander viel leichter wurde. Jede unterschwellige Aggression, jedes Potential für ein Missverständnis war verschwunden und es gelang mir viel häufiger, ich selbst zu sein. Das galt auch für Situationen, die ich zuvor für unangenehm und anstrengend gehalten hatte. Konnte es wirklich damit zu tun haben, dass ich einfach ehrlich war?
>> Ein Muskel, den wir trainieren müssen <<
Am Anfang fiel es mir gar nicht so leicht, Ehrlichkeit ist ein Muskel, den wir trainieren müssen. Man fürchtet oft heikle Situationen, besonders bei Fragen wie "Wie findest du meine neue Frisur?" oder "Mein neuer Freund ist doch toll, oder?" Ich fand neue Wege, um solche Moment diplomatisch zu lösen und dennoch aufrichtig zu bleiben. Je länger ich meinen Selbstversuch Ehrlichkeit lebte, desto sicherer wurde ich damit, auch das zu meistern, manchmal aber antworte ich heute auf eine Frage nach meiner Meinung mit: "Willst du wirklich wissen, wie ich das finde?" Meine Freunde wissen mittlerweile, woran sie bei mir sind und antworten dann oft: "Nee, ist schon okay." Daraus lernte ich, dass Menschen nicht wirklich nach deiner Meinung fragen, sondern einfach oft nach deiner Bestätigung für ihre Meinung. Wenn sich dein Umfeld darauf einstellt, dass du wirklich die Wahrheit sagst, beginnt im Zusammenleben ein Frühling. Deine Familie, deine Freunde - sie wissen, woran sie bei dir sind und dass ein Kompliment von dir wirklich ernst zu nehmen ist und dass du sagen würdest, wenn dich etwas stört. Auch Dinge wie Ironie, Sarkasmus oder der im Business gern genutzte Euphemismus können es uns wirklich schwer machen, weil wir nicht wissen können, wie diese verschlüsselten Botschaften beim Empfänger ankommen. Ich liebe Ironie, aber was geschieht, wenn sie nicht verstanden wird? Auch in der Körpersprache gibt es Unehrlichkeit. Wenn wir zum Beispiel die Nase hochnehmen, ohne etwas dabei zu fühlen, wirkt diese Pose arrogant - lächeln wir dabei aber, ist jeder Hauch von Überheblichkeit verflogen. Ich fand heraus, dass ein schlechtes Gefühl für einen Menschen oder die Unfähigkeit jemanden richtig einzuschätzen dadurch kommen kann, dass wir unterbewusst nicht in der Lage sind, die Körpersprache richtig zu lesen. Sie passt einfach nicht zu der Situation oder ist nicht mit dem richtigen Gefühl verknüpft. Wenn wir also schnöde theoretische Prinzipien lernen, wie wir uns zu bewegen und stellen haben, ohne dass es von uns gefühlt wird, legen wir uns sogar Steine in den Weg. Darum hinterfrage jene Wundermittel, die man bei Rhetorik- und Körpersprachtrainings lernt. Wird es nicht gefühlt, ist es nichts anderes als Schauspielerei und hat nicht die Wirkung von authentischem Auftreten, das zwischen Menschen in Windeseile eine Brücke schlagen kann.
Mit all diesem neuen Erfahrungen gerüstet, nahm es seinen Lauf. Plötzlich war also dieser Vorhang zwischen mir und den anderen verschwunden und ich hatte für mich eine tolle Entdeckung gemacht: Lügen hatte alles kompliziert werden lassen - Ehrlichkeit ist wie Medizin - sie schmeckt vielleicht nicht im ersten Moment, aber macht alles viel einfacher und gesünder. Auch im Business begann sich viel zu verändern - meine Kunden fiel es viel leichter, mir zu vertrauen. Es geht nicht darum, dass wir alle Kriminal-Profiler sind und sofort erkennen, wenn jemand lügt - vielmehr kommt es mir vor, als ob die Menschen intuitiv wahrnehmen, ob jemand ehrlich zu ihnen ist. Als Fotograf fiel mir dann auch immer öfter die andere Seite der Ehrlichkeit auf: ich erkannte, wenn Menschen vor der Kamera "Masken" trugen, also mir etwas vorspielten. Diese Bilder mögen manchmal hübsch sein, doch sie sind einfach nicht spürbar. Ehrlichkeit bedeutet auch, authentisch auf andere zu wirken. Mit dieser Idee veränderte sich meine Fotografie rapide - die Bilder wurden dadurch wertvoller, dass meine Kunden ehrlicher waren - sie wurden für den Betrachter spürbar.
Seither sind einige Jahre vergangen - meine quasi nun Langzeitstudie hat mich viel gelehrt und vor allem meinen Umgang mit Menschen verändert. Wenn man mich auf einem meiner Vorträge oder als Fotograf und auch privat kennenlernt, gelangt man sofort an einen menschlichen, natürlichen Kern. Ich habe aufgehört, Masken zu tragen. Ich bin zu meinen Eltern so wie zu meinen Freunden - genauso wie zu meinen Kunden. Das hat mich als Mensch und Künstler reifen lassen und ich bin mir sicher, dass ich meinen Erfolg auch zum Teil dieser Ehrlichkeit verdanke. Sollten wir uns also einmal treffen und ich mach dir ein Kompliment für deine Schuhe oder für etwas, das du verkörperst, dann freu dich: das meine ich zu 100 Prozent ehrlich und ist das nicht wirklich Gold wert?
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