10 Dinge, die ich durch die Selbstständigkeit gelernt habe
Ich blicke nun auf 15 Jahre Selbstständigkeit als Fotograf in München zurück. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte zurückreisen und meinem jüngeren Ich heimlich das ein oder andere ins Ohr flüstern, um mir das ein oder andere zu sparen und so manchem Fallstrick auszuweichen. Dann wieder wird mir klar, dass ich nur durch all meine Fehler und meinen Mangel an Erfahrung all diese Dinge lernen durfte, die mich heute gelassener, besser und erfolgreicher machen. Und wenn ich heute in einem Coaching einer:m Gründer:in begegne, dann finde ich mich in diesen Geschichten, in diesen Träumen und in so manchen idealistischen Ideen wieder. Wie schön, dass ich dabei meine Erfahrungen teilen darf und jene Dinge, die ich aus meinen Jahren und Fehlern gelernt habe. Zehn davon habe ich heute für euch gesammelt, vielleicht ist auch das ein oder andere dabei das du von dir kennst oder sogar ein Gedanke, der dir weiterhelfen kann.
>>Fokussier dich auf das Wesentliche<<
Tu das, was du tun musst mit dem, was du am Besten kannst. Je mehr deiner Talente du dafür verwenden kannst deinen Job zu machen, desto leichter wird es dir von der Hand gehen und dir eine Menge Spaß machen. Das Wesentliche ist nicht immer nur das Wichtigste - sondern die Dinge, die nur DU tun kannst, auf deine eigene Art. Als ich begann, meinen Job mit meinen Talenten zu verwirklichen, machte das Ganze plötzlich Sinn und gab mir ganz nebenbei auch noch ein Alleinstellungsmerkmal.
>>Arbeit darf auch mal nerven<<
"Wer tut was er liebt, wird keinen Tag mehr arbeiten." Wie oft habe ich diesen Spruch gehört und mich dabei schlecht gefühlt, weil es eben doch Tage gab, an denen mich alles genervt hat und Tätigkeiten, die unvermeidlich waren und keinen Spaß gemacht haben. Ich will mich schließlich nicht schlecht fühlen, weil ich mich auf den Urlaub oder den Feierabend freue - nach der Logik würde ich mich sonst vollends überarbeiten. Je früher du dich davon frei machst und auch mal was richtig bescheuert finden kannst, desto früher bist du auch menschlich nachvollziehbar und bist dir selbst nicht ein so strenger Richter und kannst Pausen ohne schlechtes Gewissen genießen. Wenn du es liebst, nimm den Druck raus, dann bist du am Besten - denn auch ein Traumjob darf mal ätzend sein.
>>Hör nicht auf die anderen<<
Wer sich selbstständig macht, hört allerhand gute Ratschläge. Ich musste lernen zu unterscheiden, was mir wirklich weiterhilft und was nicht - denn du glaubst nicht, welch’ Allwissen sich die Leute herausnehmen. "Das wird nie funktionieren!" "Das musst du SO machen!" "Das will doch kein Mensch!" Es ist das gleiche Phänomen wie die Leute, die bei jeder Fußball-WM die viel bessern Trainer wären. Sie stecken nicht in deinen Schuhen, sie verstehen nicht deine Vision - sie kennen nur ihre eigenen Regeln, Ängste und Grenzen, doch die haben nichts mit dir zu tun. Hör auf die, die dich inspirieren, die dir Mut machen, dich unterstützen - die anderen werden schon einsehen, dass sie sich geirrt haben.
>>Entscheide angstfreier<<
Das Leben ist eine harte Schule, besonders wenn man selbstständig ist. Doch viel härter ist die Angst, die uns bei jeder Weggabelung im Nacken sitzt. Ist es wirklich das richtige? Soll ich A oder B machen? Auch heute noch fällt es mir nicht immer leicht, ohne Angst zu entschieden. Doch Entscheidungen mit Mut sind strahlend, haben Bestand und es umweht sie ein Hauch von wahrer Größe. Hab keine Angst vor Fehlern - wenn du sie vermeidest, bewegst du dich gar nicht und oftmals merkt man nach einer Entscheidung ziemlich schnell, wenn man sich verschätzt hat und kann oft noch umdisponieren. Es ist das Seiltanzen: es ist nicht der Fall, auf den du dich konzentrieren solltest, sondern die vier Meter Seil, die noch vor dir liegen. Wenn ich so zurückdenke, habe ich die wichtigen Entscheidungen oft mit einer für mich nicht immer selbstverständlichen Portion Mut getroffen und es waren genau die Zeiten, die alles zum Guten gewendet haben.
>>Du musst nicht alles können<<
Wer eine eigene Idee groß machen will, hat oft das Gefühl, er muss es allein schaffen. Doch eine geniale Handwerkerin ist nicht immer eine perfekte Websiten-Programmiererin, ein genialer Fotograf hat manchmal eben keine Ahnung von Steuern. Wenn möglich, gib Dinge ab, die jemand anderes viel besser kann als du - das spart dir nicht nur Zeit, Nerven und Energie, es bringt meistens auch ein besseres Ergebnis - auch wenn es besonders am Anfang etwas mehr Geld kostet als es selbst zu machen. Im Übrigen schließt das nicht aus, dass du es nicht noch lernen kannst - doch das solltest du nur, wenn du dich auch dafür interessierst und Spaß daran hast.
>>Bescheidenheit ist keine gute Idee<<
Okay, das ist kein Freifahrtsschein, dich für die:den Größte:n zu halten! Doch zu oft begegne ich frisch Selbstständigen, die von sich selbst nicht gerade überzeugt wirken. Wenn ich dein potentieller Kunde bin, will ich das Gefühl haben, dass ich bei dir an genau der richtigen Adresse bin. Stell dir mal einen Chirurgen vor, der vor der OP zu dir sagt: "Ich bin ja gar nicht so gut. Ich wäre ja lieber Tänzer geworden." Wie wohl würdest du dich wohl damit fühlen? Glaub an dich und gib zu, wenn du was gut kannst - um mehr geht es gar nicht. Schließlich bilden wir die Meinung von den Menschen, die uns begegnen durch unser Auftreten.
>>Verkaufen, verkaufen, verkaufen<<
Solltest du kurz davor sein, dein eigenes Business zu starten, dann könnte das eine schlechte Nachricht sein: Vor allem geht es darum zu verkaufen. Es ist egal, wie gut deine Idee ist, wie viel Talent du hast - wenn du es nicht an die Kund:innen verkaufen kannst. Verkauf hat einen so schlechten Ruf, aber versuch es mal so zu sehen: Das was du machst ist doch etwas besonderes und wertvoll. Wäre es nicht gemein, wenn man es den Menschen nicht anbieten würde? Es gibt noch einen Gedanken, der dir vielleicht hilft: Du könntest die Situation mal umdrehen. Vielleicht geht es ja gar nicht darum, jemanden was anzudrehen, sondern nur darum, deinen Kund:innen ein geniales Einkaufserlebnis zu bescheren? Na, wie klingt das?
>>Der Wert von Geld<<
Die Selbstständigkeit hat mir beigebracht, wie viel Wert Geld hat. Wie toll es ist, sich etwas leisten zu können und keine Angst haben zu müssen, ob man seine Miete im nächsten Monat auch bezahlen kann. Auch deine Arbeit sollte ihren Wert haben. Hab keine Angst davor, keine Kund:innen zu haben, weil du zu teuer bist - sorge lieber dafür, dass du ihnen etwas anbieten kannst, wofür sie gerne auch mehr Geld bezahlen. Die Zeit des Billigkaufs ist vorbei, die Kund:innen wünschen sich etwas besonderes. Die andere Seite davon ist, dass auch du nicht mehr billig einkaufen könntest, sondern gerne Geld für das bezahlst, was du haben möchtest. Das gilt auch für Trinkgeld - denn du hast ja wahrscheinlich gemerkt, dass Geld Wert hat, oder?
>>Du musst nicht alles machen<<
Ich wünsche jedem Selbstständigen die Freiheit, auch mal einen Auftrag auszuschlagen. Besonders am Anfang hat man das Gefühl, wirklich alles machen und jeden Job annehmen zu müssen - es könnte ja wichtig sein, genau dieses Geld zu verdienen. Doch es werden Aufträge kommen, die nicht deinen Werten oder deiner Philosophie entsprechen oder schlichtweg woanders viel passender bearbeitet werden können. Je treuer du dir und deiner Idee bleibst, desto authentischer ist was du tust und desto mehr wirst du auch lieben, was du jeden Tag so machen darfst. Und so ganz nebenbei: Es gibt Menschen, bei denen es ziemlich gut tut "Nein, danke." zu sagen!
>>Das Geld kommt in Wellen<<
Diese Lektion habe ich über viele Jahre gelernt und vergesse sie auch ab und zu heute noch. Das Geld kommt in Wellen. Es gibt eine Phase der Akquise oder Anfrage, eine Bearbeitungsphase und die Phase, in der das Geld eingeht. Machmal gibt es Wochen dazwischen, in denen kein Mensch anruft und keine E-Mail dich erreicht. Hab keine Angst davor, dass es für immer ist - es sind Wellen die kommen und gehen. Manchmal wird es hektisch sein, alles gleichzeitig passieren und dann wieder wirst du so viel Luft haben, dass man meinen könnte, das Telefon sei kaputt. Entspann dich und genieße jede der Phasen, sie gehören einfach dazu. Sie werden dich gelassener machen und manchmal auch wichtig für deine Regeneration und die zukünftige Entwicklung deiner Unternehmung sein.
Angenommen ich könnte zurückreisen: Es gibt schon das ein oder andere, das ich anders machen würde. Meistens hat es nur damit zu tun, dass ich mehr wagen würde, noch angstfreier entscheiden und mir so manche Dinge nicht so oft oder so lang geben würde. Ich wünsche, ich hätte damals schon das gleiche Gefühl für Menschen gehabt und wäre mir meiner Mission schon von Anfang an bewusst gewesen. Doch 15 Jahre Herzblut haben sich gelohnt - ich habe mir etwas aufgebaut, doch viel wichtiger: Sie haben diesen Menschen geformt, der ich heute bin und eines steht fest - ich würde niemand anderes sein wollen.