So funktionieren Zeitreisen
Halt mal die Luft an und stopp die Zeit. Merkst du, wie unglaublich lang 40 Sekunden sein können? Diese Übung tut mir im Moment ganz gut, denn ich habe das Gefühl, die Wochen rasen nur so an mir vorbei und ich habe Mühe Schritt zu halten. Was ist das nur mit dieser Zeit, dass sie sich manchmal kaugummihaft dehnt und dann wieder galoppiert als würde sie von einem Rudel Bluthunde verfolgt?
Schon als Kind hab ich es wie einen Deal verstanden: Wenn ich wollte, dass sich meine Ferien länger anfühlen, dann musste ich mich einfach nur langweilen und schon krochen die Stunden dahin. Doch ist es wirklich das was ich will? Manchmal ja, denn wenn ich mich langweile habe ich oft gute Ideen - andererseits aber will etwas erleben, Dinge die ich nicht vergesse. Wenn ich das aber tue, muss ich in Kauf nehmen, dass die Zeit verrennt. So ist das mit der Zeit. Wir geben ihr ihre Geschwindigkeit durch das, wie wir unser Leben gestalten. Also was ist dir lieber? Löcher in die Luft starren oder mit den Stunden um die Wette laufen, dass du deine Schuhe verlierst?
>>Das Gefühl, ich hätte zwei Tage erlebt<<
Du merkst schon, uns kann man es nicht leicht recht machen. Doch hast du gewusst, wie du vielleicht jeden Tag ein bisschen so gestalten kannst, dass er sich viel intensiver anfühlt? Ich erzähl dir mal ein bisschen, wie ich das mache. Es gibt für mich Super-Aktionen. Das sind Tätigkeiten, die nicht alltäglich sind. Wenn ich zum Beispiel im Winter morgens Eisbaden gehe, investiere ich ungefähr eine Stunde Zeit, die ich früher aufstehen muss - habe aber das Gefühl, ich hätte an einem Tag zwei Tage erlebt. Es bringt mich aus meinem Zeitgefühl heraus und gibt mir die Empfindung von Tiefe in meiner Zeit.
Dann gibt es kleine Aktionen, die oftmals unter den Tisch fallen, wenn es grad hektisch ist. Hast du schon mal gestoppt, wie lange bestimmte kleine Dinge dauern? So etwas wie die Spülmaschine ausräumen, saugen oder eine Postkarte schreiben? Es sind ungelogen nur Minuten, die dir aber das Gefühl geben, richtig was geschafft zu haben - auch da verändert sich wie wir die Zeit wahrnehmen. Es sind genau die Minuten zwischen zwei Terminen, die 8 Minuten, die deine Kundin zu spät kommt. Wenn man nicht nur dasitzt und wartet während ein Programm lädt, kann man an den Schrauben seiner Zeit drehen.
>>Die wenigen Minuten, in denen es nur um uns geht<<
Richtig interessant wird es auch, wenn du mal überlegst wie lange du brauchst um zehn Seiten zu lesen. Gibst du deinem aktuellen Buch zwischendrin die Zeit dafür (es ist wirklich wenig), entführt es dich in Zeitspannen von Tagen oder Wochen, wie ein parallel geführtes Leben. Wenn man sich angewöhnt, statt dem Smartphone einfach ein Buch mit auf die Toilette zu nehmen, kannst du in der Zeit reisen und damit auch sogar ein bisschen herunterkommen.
Ich liebe es, Dinge langsam zu tun. Besonderen Spaß macht es mir im Moment, im Badezimmer das Tempo rauszunehmen. Zähneputzen, Haare stylen, rasieren. Sich dafür Zeit zu nehmen, entzerrt nicht nur die Wahrnehmung, es macht sogar etwas mit deinem Selbstwertgefühl. Immerhin widmen wir so viel Zeit der Arbeit oder anderen Dingen und hetzen uns durch die wenigen Minuten, in denen es nur um uns geht.
Je weniger Zeit du an einem Tag dafür hast, desto dringender solltest du meditieren. Das bewahrheitet sich bei mir immer wieder. In der Meditation verliert die Zeit fast jede Bedeutung. Wenn man es regelmäßig praktiziert, gelangt man immer einfacher und schneller in einen Zustand, in dem alles von einem abfällt und man dem Druck der Welt entkommt. Diese 20 Minuten schenken mir gefühlte Stunden, weil plötzlich alles neu sortiert wird und Situationen ihre Wucht verlieren.
Hast du nun gestoppt, wie lange du die Luft anhalten kannst? Diese Sekunden waren nur für dich. Wie geschenkte Augenblicke, zwischen zwei Atemzügen und ein bisschen wie Magie. Oder wie nennst du es sonst, wenn du mal eben so die Welt angehalten hast? Wir sind alle Zeitreisende: Immer geradeaus in die Zukunft.